Woher kommt das Philosophieren mit Kindern?

Das Philosophieren mit Kindern ist eine pädagogische Bewegung, die auf eine mehr als 40 Jahre lange Tradition zurückblicken kann. Ihre Ursprünge liegen in den USA in den 70er und 80er Jahren Jahren und verbinden sich mit den Namen Matthew Lipman und Gareth B. Matthews.
Zwar gibt es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland bereits Vorläufer des Philosophierens mit Kindern: Zu nennen sind hier etwa in den 20er Jahren das Plädoyer von Herman Nohl (1922) zur Förderung der Haltung eines ehrfürchtigen, philosophischen Staunens von Kindern etwa beim Erlebnis einer schönen Landschaft, ein Plädoyer von Arthur Liebert (1927) für die Vermittlung einer „festen, systematisch aufgebauten Weltanschauung“ in der Schule oder die strenge Methode des „sokratischen Gesprächs“, die von Leonard Nelson entwickelt und von Minna Specht im Landerziehungsheim „Walkemühle“ seit 1923 praktiziert wurde. Zu den Vorläufern des Philosophierens mit Kindern kann auch Walter Benjamin mit seinen Rundfunkvorträgen aus den Jahren 1929 bis 1931, die später unter dem Titel „Aufklärung für Kinder“ veröffentlicht worden sind, gezählt werden.
Diese eher verstreuten frühen Ansätze zum Philosophieren mit Kindern haben jedoch nicht unmittelbar die Entwicklungen im zweiten Drittel des Jahrhunderts beeinflusst, die auf das Wirken amerikanischer Philosophieprofessoren zurückgehen.

Philosophy for Children (P4C)
„Philosophy for Children“ (P4C) begann im Jahre 1972 mit der Gründung des Institute for the Advancement of Philosophy for Children (I.A.P.C.) am Montclair State College in New Jersey durch Matthew Lipman und Ann Margaret Sharpe.
Vor der Gründung des Instituts war Lipman Professor für Philosophie und Logik an der Columbia Universität gewesen. Während der Studentenunruhen in den sechziger Jahren hatten ihn die Geringschätzung logischer Argumentation und die Verachtung der Schule beunruhigt, die er bei den Studierenden wahrnahm. Um die Disziplin des Denkens von Grund auf zu fördern, wandte er sich dem Kindesalter zu. Anfang der siebziger Jahre schrieb er ein Buch mit 96 Seiten Umfang für zwölfjährige Kinder, das aus lauter Episoden bestand, in denen die Kinder selbst auf Probleme stoßen, die sie durch Gespräche untereinander zu lösen versuchen. Der Titel „Harry Stottlemeyer’s Discovery“ enthält eine Anspielung auf den Namen des Philosophen Aristoteles, der im Englischen Eristótel ausgesprochen wird. Tatsächlich ist Aristoteles gewissermaßen der Pate des Büchleins, die Aristotelische Logik gibt die innere Form der einzelnen Episoden vor.
Zum Beispiel lernt der zwölfjährige Harry bei einer Diskussion im Schulunterricht, daß es richtig ist, zu sagen „Alle Planeten bewegen sich um die Sonne“, daß es jedoch falsch ist, umgekehrt zu sagen „Alle Himmelkörper, die sich um die Sonne bewegen, sind Planeten“, weil es außer Planeten noch Kometen gibt. In diesem Beispiel steckt das bekannte logische Prinzip, demzufolge so genannte All-Aussagen bei Umkehrung falsch werden. Harry wendet dies Prinzip sogleich auf die Aussage einer Nachbarin an, die beobachtet hat, wie eine Person häufig in eine Kneipe geht und daraus schließt, es müsse sich wohl um eine Trinkerin handeln.
„Frau Olson“, sagte er, „obwohl Sie möglicherweise recht haben, dass alle Leute, die das Trinken nicht lassen können, jeden Tag in die Gastwirtschaft gehen, heißt das noch lange nicht, dass alle Leute, die jeden Tag in die Gastwirtschaft gehen, Trinker sind.“ (Lipman/Glatzel 1983, 8)
Zwischen 1973 und 1988 produzierte Lipman sechs weitere Büchlein für die Altersstufen vom Kindergarten bis zur Klasse 12. Diese Vorlagen tragen jeweils die Namen von Kindern, Elfie, Pixie, Kio und Gus, Lisa, Suki und Mark. Sie sind verschiedenen Feldern der Philosophie gewidmet, Sprachphilosophie, Ethik, Ästhetik, Gesellschaftsphilosophie, Naturphilosophie. Trotzdem kann man von einer Prädominanz der Logik sprechen. Sie liefert in jedem Fall den Zusammenhalt. Die Einhaltung der Regeln des logischen Argumentierens hat jederzeit Vorrang, auch an den Stellen, an denen die Angemessenheit der Logik zur Lösung bestimmter Fragen in Zweifel gezogen wird.
Es ist konsequent, daß das Institut mit „Philosophy for Children“ (meist als Kürzel P4C) in den achtziger Jahren neben die berühmten drei „R“s der Grundbildung in der Schule – Reading, (W)riting, (A)rithmetic – als viertes „R“ „Reasoning“ in die amerikanische Bildungsdiskussion einzuschleusen versuchte. Als Werbeslogan propagierte das Institut den Satz „Nothing builds reasoning skills like philosophy for children“ („Nichts fördert das Argumentationsgeschick besser als P4C“).
Die Idee Lipmans war sehr erfolgreich und fand große Verbreitung. Im Jahre 1999 wurde P4C an etwa 5000 Schulen in den USA unterrichtet. Lipmans Bücher sind in achtzehn Sprachen übersetzt, und in vierzehn Ländern außerhalb der USA bestehen P4C Zentren nach dem Muster von Montclair.
Dieser Erfolg ist möglicherweise ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den beiden Protagonisten des Instituts, Matt Lipman und Ann Margaret Sharpe. Sharpe war 1973 Professorin für Erziehung geworden. Sie kannte die praktischen Anforderungen des Schulwesens und entwickelte aus der Praxis der Diskussion mit Lehrerinnen und Lehrern die Handbücher, die Lipmans Philosophier-Vorlagen begleiten, für die Praxis der Diskussion mit Kindern. In den achtziger Jahren trieb sie die internationale Verbreitung von P4C voran.
Lipman selbst griff auf ein Wort des Philosophen Charles Sanders Peirce zurück, der als höchste Stufe der Selbstvergewisserung über die sogenannte Richtigkeit unserer Vorstellungen die „community of inquiry“ eingeführt hatte, die Gemeinschaft der Forschenden. Die Leitvorstellung von P4C ist es, eine Schulklasse in eine Gemeinschaft von Forschenden zu verwandeln.

Mit Kindern philosophieren
Im Jahre 1980 erschien „Philosophy and the Young Child“, eine Sammlung von Gesprächen, die der Verfasser, Gareth Matthews, im Lauf der siebziger Jahre mit einzelnen Kindern geführt hatte und die er als Philosophieprofessor (an der University of Massachusetts in Amherst) interpretierte. Matthews trat damals mit dem Versuch des Nachweises an die Öffentlichkeit, dass manche Gedanken von Kindern den Überlegungen der großen Philosophen auf überraschend genaue Weise entsprechen. Dies war in gewisser Hinsicht ein programmatischer Schritt, und sein Vorgehen ist öfters als Entwicklung der Analogie zwischen dem Denken von Kindern und dem Denken von Philosophen gekennzeichnet worden. Tatsächlich zeigt er immer wieder die Übereinstimmung bestimmter Vorstellungen von Kindern mit bestimmten Auffassungen aus der Philosophiegeschichte. Aber sein Programm erschöpft sich nicht im Auffinden von derartigen Parallelen und Analogien. Immer wieder trägt er Kinderfragen zusammen, die sozusagen nur zu einem Teil mit der Philosophie verrechnet werden können, und manchmal eher einfach auf Neugier und Wissbegierde der Kinder zurückzuführen sind. Und gleichzeitig will er zeigen, dass Philosophen von Kindern einiges lernen können. Zur Illustration zunächst Belege aus dem Kapitel „Puzzlement“ (Matthews, Philosophy and the Young Child, 1980):
„Papa, wie können wir sicher sein, daß alles nicht nur ein Traum ist?“ fragt Tim (ungefähr sechs), emsig damit beschäftigt, einen Topf auszulecken.
(Matthews, Denkproben 1991, 15)
Ich bringe meinen achtjährigen Sohn John zu Bett. Er schaut mich an und fragt: „Du, Papi, warum sehe ich nicht doppelt? Ich habe zwei Augen, aber mit einem allein kann ich dich schon sehen!“ (22/23)
Eines Tages macht John Edgar (vier Jahre), der schon oft Flugzeuge hat starten, aufsteigen und langsam in der Ferne verschwinden sehen, seine erste Flugreise. Nach dem Aufstieg und dem Erlöschen des Anschnallzeichens wendet er sich mit sehr erleichterter, aber immer noch verwunderter Stimme an seinen Vater: „Es wird doch nicht alles kleiner hier oben!“ (18)
Tims Frage (wie wir sicher sein können, dass nicht alles nur ein Traum sei) ist von eminent philosophischer Art. Aristoteles und Descartes und viele andere große Philosophen haben sich mit seinem Problem auf ihre Weise auseinandergesetzt, und einige sind dabei dem Solipsismus anheim gefallen. Aber die Fragen von John und David und John Edgar betreffen Erscheinungen, die von Biologen, Neurophysiologen und Optikern wahrscheinlich erschöpfend beantwortet werden könnten. Derartige Kinderfragen sind allerdings dazu geeignet, in den Grenzbereich zwischen wissenschaftlichen Gewissheiten und philosophischen Spekulationen hineinzuführen. So führt Davids Frage das fundamentale Problem einer Definition von „Leben“ vor Augen. Es ist unter Biologen keineswegs endgültig geklärt, was unter „Leben“ zu verstehen sei.
In den Beispielen wird erkennbar, dass Matthews Konzeption vom Philosophieren mit Kindern nicht einfach in dem Satz „Kinder sind Philosophen“ aufgehoben ist. Vielmehr erblickt er gerade die frühe Kindheit als Phase einer tiefen Beunruhigung. Kinder sind neu auf der Welt, sie sind verunsichert, sie stellen dauernd Fragen, um sich zu vergewissern.
„Puzzlement“ ist in die deutsche Ausgabe mit dem Wort „Verblüffung“ übertragen worden. Diese Übersetzung erscheint unangemessen, das Wort drückt die augenblickliche, kurz aufblitzende Verunsicherung eines Menschen aus, der sich im Leben eigentlich ganz gut auskennt bzw. auf einem Meer von Vorurteilen dahinzusegeln gelernt hat. Kinder dagegen sind dauernd verunsichert und im Zweifel. „Beunruhigung“ wäre deshalb im Deutschen wohl das angemessenere Wort. Diese Beobachtung der Genese kindlicher Grübelfragen aus der Situation von Beunruhigung und Bedrohung ist das Fundament der folgenden kühnen Behauptung von Gareth Matthews:
„Ich schlage vor, die Philosophie der Erwachsenen als ausgereifte Antwort auf kindliche Fragen zu sehen. Die Philosophie der Erwachsenen kann als eine Idealisierung der Kindheit betrachtet werden, als bewußte Rekonstruktion der besten Art und Weise, Sinn aus der Welt zu machen angesichts der Bedrohung für Verstand und Moral, denen sich das heranwachsende Kind gegenübersieht. Diese Bedrohung kommt nicht so sehr von außen, also von anderen Leuten oder aus der Umwelt, als vielmehr von innen; es ist eine dem menschlichen Unterfangen eingeborene Bedrohung, Sinn aus dieser Welt und unserer Rolle in ihr zu machen.“ (Matthews 1989, Mit Kindern über die Welt nachdenken, 14)
Zusammengefasst heißt das: Philosophie als Disziplin geht aus den Fragen hervor, die uns in der Kindheit verfolgen, Kindheit und Philosophie sind enge Verwandte, und die Philosophie ist eine Tochter der Kindheit.
Matthews hat keine eigene Didaktik des Philosophierens mit Kindern entwickelt. Seine Neigung, Kinderbücher als Vorlagen zur Erörterung von philosophischen Problemen mit Kindern zu nutzen, ist streng genommen keine Methode. Er hat kein Institut gegründet, keine Assoziation, keine Schule. Der Einfluss der Texte von Gareth Matthews ist jedoch immens. Vor allem in Deutschland sind die Spuren seiner Beispiele überall zu finden. Das Thema, über das in deutschen Grundschulklassen am häufigsten philosophiert wird, ist wahrscheinlich „Können Pflanzen glücklich sein?“. Er hat es ins Spiel gebracht, ebenso wie das beliebte „Schiff des Theseus“, bei dem alle Planken ausgewechselt worden sind, so dass sich die Frage stellt: „Ist es noch das gleiche Schiff?“. Matthews sprach und schrieb ausgezeichnet Deutsch. In zahlreichen Vorträgen, Zeitschriftenartikeln und Buchbeiträgen hat er sich in die Diskussion hierzulande selbst eingebracht.
Für die Entwicklung des Philosophierens mit Kindern in Deutschland ist vor allem der Philosophiedidaktiker Ekkehard Martens zu nennen, der das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen maßgeblich weiterentwickelt und gefördert hat (vgl. Martens 1999, 2003). Für den Grundschulbereich ist ferner der Erziehungswissenschaftler Helmut Schreier zu nennen. Er hat  wesentlich zur konzeptionellen Entwicklung und Verbreitung des Philosophierens als Unterrichtsprinzip in der Grundschule beigetragen. (vgl. Schreier 1999).
(Gekürzter und leicht veränderter Auszug aus: Michalik/Schreier 2006, 28-48)

Literatur

Kerstin Michalik/Helmut Schreier: Wie wäre es, einen Frosch zu küssen? Philosophieren mit Kindern in der Grundschule. Braunschweig 2006
Lipman, Matthew: Harry Stottlemeyer’s Discovery. New Jersey 1974 (dt. Ausgabe: Harry Stottlemeiers Entdeckung. Übers. Martin Glatzel. Hannover 1983)
Derselbe/Sharpe, Ann Margaret: Instructional Manual to Accompany Harry Stottlemeyer’s Discovery. New Jersey 1975
Matthews, Gareth B.: Denkproben. Philosophische Ideen jüngerer Kinder. Berlin 1991.
Derselbe: Philosophische Gespräche mit Kindern. Berlin 1989
Derselbe: Mit Kindern über die Welt nachdenken. In: Grundschule 3 (1989), S. 14-17.
Martens, Ekkehard: Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in die Philosophie. Stuttgart 1999
Derselbe: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik. Hannover 2003
Schreier, Helmut (Hg.): Nachdenken mit Kindern. Aus der Praxis der Kinderphilosophie in der Grundschule. Bad Heilbrunn 1999

 

Wozu soll man mit Kindern philosophieren?

Es gibt viele Gründe, warum es sinnvoll ist, mit Kindern zu philosophieren. Das Philosophieren mit Kindern trägt zur Entwicklung selbständigen kritischen Denkens bei, es fördert die ethische Urteilskompetenz sowie sprachliche und kommunikative Fähigkeiten der Kinder

Aufklärung oder die Fähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen – Orientierung – Weltverstehen
Beim Philosophieren wird das eigene selbständige Denken geschult und kritisches Denken gefördert. Das Philosophieren mit Kindern soll das selbständige Denken der Kinder fördern, Kindern Selbstvertrauen in die eigenen Verstandeskräfte geben. Es soll sie dazu anregen, eigene Standpunkte zu entwickeln, zu begründen und zu hinterfragen. Es soll sie skeptisch machen gegenüber allem, was mit dem Anspruch auf Wahrheit auftritt, gegen dogmatisches Denken resistent machen.
Es soll ihnen das dafür notwendige geistige Rüstzeug vermitteln: Dazu gehört auch die Fähigkeit, logisch zu denken, Aussagen und Begriffe analysieren zu können, Voraussetzungen und Schlussfolgerungen kritisch zu überprüfen. Es geht um das denkende Sich-Orientieren-Können in der Welt, um die Fähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und kritisch nachzufragen, wo scheinbare Gewissheiten und Wahrheiten behauptet werden.

Selbstreflexion und Selbsterkenntnis und Offenheit für andere Denk- und Lebensweisen
Beim Philosophieren geht es auch darum, das eigene Denken und das Denken anderer Menschen besser zu verstehen. Es bietet einerseits Raum, um sich in seinem eigenen Denken, Fühlen, Wollen, selbst besser zu verstehen, sich eigene Positionen und Gedanken bewusst zu machen, diese kritisch zu prüfen, vielleicht auch zu revidieren. Im Gespräch mit anderen Kindern werden eigene Vorstellungen geklärt, Gründe und Begründungen für eigene Positionen gefunden und überprüft. Das Gespräch bietet andererseits die Gelegenheit, Vorstellungen, Gedanken, Positionen und Begründungen anderer Kinder kennen zu lerne, auch das, was andere denken, aufzunehmen, weiterzudenken.
Es geht darum, sich eigene Perspektiven bewusst zu machen, andere Perspektiven kennen zu lernen, sich in andere hineinzudenken, Respekt vor den Gedanken anderer zu üben. Das Philosophieren soll Kinder auch dazu befähigen, sich mit fremden Welten und Anschauungen konstruktiv auseinander zu setzen. Es geht um die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln und es geht um die Einsicht, dass Wirklichkeit eine offene und vielschichtige Größe, die Anlass zu verschiedenen Deutungsmöglichkeiten bietet.
Kinder sollen die Vielfalt von Denkmöglichkeiten erfahren und selbst erproben, verschiedene Antwortmöglichkeiten und Deutungen erwägen und neue, ungewohnte Sichtweisen kennen lernen. Dass es Fragen gibt, auf die es keine eindeutige oder zufrieden stellende Antwort gibt, ist bereits eine wichtige Einsicht, die zur Entwicklung einer fragenden, neugierigen, nachdenklichen und problemsichtigen Einstellung gegenüber Personen und Sachen und damit zu einer differenzierten geistigen Grundhaltung in besonderem Maße beiträgt.

Ethische Reflexionsfähigkeit und Urteilskompetenz
Auch das Philosophieren über ethische Fragen bietet den Kindern Orientierungshilfe. Anhand von Beispielen aus dem Leben der Kinder lassen sich Handlungsalternativen erwägen und abwägen. Reflexion über das eigene Handeln kann auf diese Weise zur Gewohnheit werden. Philosophieren im ethischen Sinne ist der Gegenentwurf zu den verschiedenen Formen einer belehrenden Moralpädagogik. Die vorliegenden Untersuchungen zur Werte- und Moralentwicklung von Kindern kommen zu dem Schluss, dass moralische Kompetenz im Sinne einer eigenen, intrinsischen Motivation zu ethischem Handeln in erster Linie eine Folge zwischenmenschlicher Beziehungen und Auseinandersetzungen ist.
Grundlegend ist die Erkenntnis: Man kann Werte nicht direkt vermitteln, es kommt auf förderliche Rahmenbedingungen an, in denen Kinder Werte selbst entwickeln, aushandeln, leben und erleben können. Für solche Prozesse stellt das Philosophieren mit Kindern ein besonders geeignetes Medium dar.

Sprachliche und kommunikative Fähigkeiten
Beim Philosophieren werden Vorstellungen und Gedanken geklärt und die Kinder üben sich darin, klar und folgerichtig zu denken und das eigene Denken den anderen Kindern verständlich zu machen: Klares Ausdrücken, deutliches Formulieren, folgerichtiges, logisches Denken. Sich anderen verständlich machen heißt auch, um die Klarheit des eigenen Gedankens zu ringen. Damit ist das Philosophieren gleichzeitig immer auch Sprachförderung.
Die Entwicklung von Denk- und Sprachfähigkeiten hängt eng zusammen mit der Entwicklung von Diskussions- und Argumentationsfähigkeiten. Bei der gemeinsamen Bearbeitung philosophischer Probleme wird in besonderem Maße die Fähigkeit zum Argumentieren und Diskutieren geübt, werden Dialogfähigkeit und ganz allgemein Gesprächsfähigkeit entwickelt. Dies wirkt sich auch auf das Sozialverhalten der Kinder aus.

Demokratieverständnis und Partizipation
Gesprächsfähigkeit ist Verständigungs- und Verhandlungsfähigkeit, und dies sind wichtige Kompetenzen für das Leben in einer demokratischen Gesellschaft, für die Beteiligung an demokratischen Prozessen in einer sich permanent wandelnden Welt, in der man immer wieder neuen Herausforderungen begegnen und sich immer wieder neu selbst und gemeinsam mit anderen orientieren muss.
Die Fähigkeit, gemeinsam ein Gespräch zu führen, d.h. sowohl eigenen Sichtweisen und Meinungen einzubringen und verständlich zu machen, als auch die der anderen wahrzunehmen, sich mit diesen auseinander zu setzen und konstruktiv mit verschiedenen Sichtweisen umzugehen, ist eine wichtige Basis für den Aufbau eines gestaltungs- und handlungsorientierten Verhältnisses zur Welt.
Das Philosophieren ist verbunden mit der Entwicklung einer demokratischen Gesprächskultur und kann auf diesem Wege einen Beitrag zum Aufbau von Demokratieverständnis leisten. Dazu gehören die im philosophischen Diskurs immer wieder praktizierte Kultivierung der Menschenrechte, gegenseitige Respektierung, Tolerierung und Solidarität.

Das Philosophieren mit Kindern, so könnte man es zusammenfassend formulieren, will Kindern Grundlagen vermitteln, sich selbst zu bilden, in der Entfaltung und Prüfung eigener Gedanken und Vorstellungen, im Austausch mit den Gedanken und Erfahrungen der anderen Kinder, in der Auseinandersetzung mit rätselhaften oder schwierigen Fragen, in der Beschäftigung mit der Art und den Grenzen unseres Erkenntnisvermögens oder ethischen Entscheidungsfragen. Beim Philosophieren geht es um das Verhältnis zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Welt.

 

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